Der Nordirlandkonflikt ist bis zum Karfreitagsabkommen 1999 einer der schwersten Konflikte der westlichen Welt gewesen. Da die Presse oft zensiert wurde, malten die Bewohner Nordirlands ihre Sicht der Dinge an die Wand. Entstanden sind dadurch beeindruckende Kunstwerke auf beiden Seiten. Ganz besonders zeigt sich dies in Belfast, wo auch der Frieden öfter zum Motiv wird.
Wir stehen vor den Mauern und schauen auf den Stacheldraht und die Überwachungskameras. Die Laternen haben Kletterschutz, der aussieht wie die Mischung aus einem Ackerpflug und einem Morgenstern. Einen Steinwurf entfernt steht eine katholische Schule. Die Fenster sind mit schweren Gittern gesichert – gegen Steinwürfe. Am Anfang der Falls Road erheben sich die Divis Flats über die Stadt. Das Wohngebäude wurde bei Ausschreitungen 1969 schwer beschossen. Der neunjährige Patrick Rooney ließ sein Leben – bis heute gilt er für die Katholiken als Märtyrer. Auf dem Gebäude befand sich danach jahrzehntelang eine Wachstation der britischen Armee.
Soziale Bewegungen aus aller Welt an die Wand gemalt
„Ich mag dieses „, sagt Victoria unsere Couchsurfing-Gastgeberin und zeigt auf eines der Wandbilder. Es ist ein Abbild Meisterwerks „Guernica“ von Pablo Picasso. In den Vierteln von Belfast finden sich hunderte Wandbilder, in mühevoller Kleinarbeit gemalt. Viele mit einem politischen Hintergrund erzählen die leidvolle Geschichte Nordirlands. Das Picasso-Bild ziert die „International Wall“ an der Falls Road in Belfast. Sie ist die Hauptstraße des umgebenden katholischen, republikanischen Viertels. An der Wall finden sich Abbilder von Künstlern aus dem Baskenland, Palästina und Kuba, von Kämpfern gegen die Sklaverei wie Frederick Douglass. Die katholischen Republikaner sehen sich in einer Linie mit den Bewegungen dieser Nationen.
Geschichte in Bildern
Die Wandbilder in den Straßen Belfasts erzählen die Geschichten, wie es dazu kam. Auch die historischen Tatsachen kann man auf den murals sehen. Beide Seiten erzählen sie mit ihren eigenen Sichtweisen. Es sind Abbilder von Wilhelm von Oranien oder Oliver Cromwell zu sehen, genauso wie irische Freiheitskämpfer. Zwischen murals und Häusern finden sich immer wieder Gedenkstätten für die zahlreichen Opfer des Konfliktes. Auf Schautafeln wird beschrieben, wer wo getötet oder verletzt wurde. Wird die jeweils andere Seite für zahlreiche Morde oder gar Folterungen verantwortlich gemacht. „An der Shankill Road, der Hauptstraße der Protestanten gab es einen Pub in dem die Unionisten einige vermeintliche IRA-Kämpfer gefoltert haben“, berichtet Victoria. Eine Tour durch dieses Belfast ist nichts für leichte Gemüter. Doch wer sich dafür interessiert, der kann sich sogar von ehemaligen politischen Gefangenen durch die nordirische Hauptstadt führen lassen. Ein von der EU unterstütztes Projekt bietet dies an.
Blöde Sprüche im Pub
Victoria ist eigentlich Engländerin. Hier zu stehen und die „murals“ genannten Wandbilder zu betrachten, wäre für sie vor etwas mehr als einem Jahrzehnt eine gefährliche Angelegenheit gewesen. Bis zum Karfreitagsabkommen im Jahre 1999 lebte man in Belfast ziemlich unsicher. „Auch heute bekomme ich von den Männern in den irischen Pubs noch Sprüche um die Ohren geworfen“, sagt sie.
Teilweise Normalisierung
Der Hass sitzt bis heute tief. Tief genug, dass nacht immer noch einige Straßen durch dicke Tore verschlossen werden. Tief genug, dass es immer noch meterhohe Mauern und Zäune zwischen den Vierteln gibt. Aber zumindest beginnen erste Gruppen langsam miteinander auszukommen. Es gibt Polizeieinheiten, die sowohl mit Katholiken als auch Protestanten besetzt sind. Die alte IRA hat ihre Waffen niedergelegt. Nun gibt es nur noch einen gelegentlichen kleinen Anschlag von Splittergruppen der früheren Terror-Organisation. Die ehemaligen IRA-Führer wie Gerry Adams sitzen längst im nordirischen Parlament und kämpfen nun mit Stimmzetteln für ein geeintes Irland. „Trotzdem kracht es regelmäßig zu den Märschen“, berichtet uns Victoria. Sie meint damit vor allem die Märsche des Oranier-Ordens, die gern durch katholische Viertel ziehen und so regelmäßig Straßenschlachten provozieren.
Die Hoffnung bekommt Farbe
Doch neben allen Anfeindungen und Beschimpfungen gibt es dazwischen immer wieder Hoffnung. So zeigen einige der Betongemälde die Hoffnung auf Frieden. Die Stadt Belfast fördert nun das Malen von murals, die die Gemeinschaft betonen und positiv sind. Am Ende unserer Tour zwischen den Vierteln stehen wir vor einem Bild mit vielen spielenden und friedlichen Kindern darauf. Darüber prangt der Satz „Jedes Kind verdient es“.
Hinweis: Neben den geführten Touren mit ehemaligen politischen Gefangenen gibt es eine sehr umfassende Übersichtskarte mit allen Wandmalereien aus Belfast.